Sprachlicher Höhenrausch
Poetry Slams – volksnahe Dichterschlachten
1986 in Chicago entstanden, erfreut sich diese Veranstaltungsform auch in Deutschland seit den 1990er Jahren einer immer größer werdenden Beliebtheit. Mittlerweile gilt die deutschsprachige Slamszene nach der englischsprachigen als die zweitgrößte der Welt und stellt eine klare Gegenbewegung zum sprachlichen Desinteresse bzw. Verfall der deutschen Sprache besonders unter Jugendlichen dar. Denn insbesondere die U20-Slambewegung wird in verschiedenen Einrichtungen – auch in der Schule – aufgegriffen und weiterentwickelt und spricht auffallend viele Unter-20-Jährige an. Hier wird ein Publikum begeistert, das man für den Konsum von Literatur längst verloren geglaubt hat.
Die selbstgeschriebenen Texte, die innerhalb einer vorgegebenen Zeit – in der Regel sind es fünf Minuten – einem Publikum vorgetragen werden, unterliegen keinerlei thematischen Vorgaben. Lyrik, Kurzprosa, Rap oder Comedy-Beiträge – die Slampoeten können über das von ihnen genutzte Genre frei entscheiden. Bewertet werden die Performances entweder vom Publikum oder von einer Jury. Der amerikanische Literaturveranstalter Bob Holman fasst die Bewertungsskala von null bis zehn wie folgt zusammen: „Eine null für ein Gedicht, das nie hätte geschrieben werden dürfen, eine zehn für ein Gedicht, das einen kollektiven Orgasmus im Publikum auslöst.“
Natürlich ließen negativ-kritische Stimmen zu der Veranstaltungsform des Poetry Slams nicht lange auf sich warten. Den Auftritten wird inhaltliche Oberflächlichkeit vorgeworfen; das Format passe sich mit seiner Kurzlebigkeit der Aufmerksamkeitsspanne des heutigen TV-Publikums an.
Doch letztendlich ist es die Poesie, die bis zu 900 Zuschauer pro Veranstaltung anlockt. In Deutschland gibt es mittlerweile 130 Poetry Slams, die regelmäßig stattfinden. Deutschsprachige Slampoeten werden weltweit eingeladen und geben Kurse und Workshops an Universitäten und Schulen. Einige wenige können bereits von ihrem Dasein als Slampoet leben. Und auch die von der Literatur-Szene anerkannten Literatur-Festivals bieten immer häufiger Auftritte von bekannten Poetry-Slammern wie Bas Böttcher und Timo Brunke.
Gänsehaut oder Lachen für den Zeitraum von fünf Minuten? – Besser als keine Gänsehaut.
Christine Wolter
staatl. gepr. Übersetzerin
Texte & Korrektorat