Sprachpedanten
Schmerzhafte Fehler
Wie es um unsere Rechtschreibsicherheit steht, wissen wir nicht erst seit PISA & Co. Auch die Ausrede, die Rechtschreibreform mit all ihren Anhängseln sei daran Schuld, dass wir nicht mehr richtig schreiben können, fußt nicht mehr so richtig. Der Ernst der Lage rüttelt auf. Grundschulen versuchen neue Wege im Deutschunterricht, Buch- und Leseaktionen wollen Kinder und Jugendliche zum Lesen animieren, denn nur so kann den Short-Messages und Ultra-Short-Messages, ja, den Emoji-Messages Parole geboten werden. Unsere Sprache verkümmert. So und ähnlich lauten die Schlagzeilen.
Wie, aber, steht es um diejenigen, denen nie ein sprachlicher Lapsus passiert? Die sowohl schriftlich als auch mündlich mit einer linguistischen Sicherheit durchs Leben gehen, dass alle anderen um sie herum vor Angst verstummen? Und die, wenn sie Zeuge eines Fehlers werden, nicht anders können, als diesen zu korrigieren und manchmal auch durch grammatikalische Regelmühlen zu ziehen? Dies tun sie entweder zurückhaltend sensibel oder aber plump mit deutlich arroganten Zügen. Beide Reaktionsweisen sind darauf zurückzuführen, dass den Sprachpedanten entdeckte Fehler regelrechte Schmerzen bereiten, die nur auszuhalten sind, wenn die Fehler öffentlich aufgedeckt werden. Ich weiß von sprachlich versierten Menschen, die beim Lesen eines Buches Fehler anstreichen, um den Verlag später darüber zu informieren. Die Leserbriefe schreiben, um Magazine und Zeitungen auf deren Druck- und Rechtschreibfehler aufmerksam zu machen. Die nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene beim Erzählen unterbrechen, um die Frage nach Genitiv und Dativ final zu klären. Die nicht bereit sind, am Frühstückstisch auf die Frage „Kann ich mal die Butter?“ die gewünschte Dose zu reichen. Das tun sie erst, wenn der Bittsteller checkt, dass ohne „haben“ das Brötchen für immer trocken bleibt. Ein zwanghaftes Verhalten, dass der Stimmung nicht immer förderlich ist.
Nun gibt es Studien darüber, was genau Menschen unterscheidet, die empfindlich oder entspannt auf Rechtschreib- und Grammatikfehler reagieren. Das Ergebnis: Kulturelle Herkunft, Alter, Geschlecht oder Bildungsgrad haben keinen Einfluss darauf, wie wir mit Fehlern in der Sprache umgehen. Doch es gibt ein Persönlichkeitsmerkmal, das entscheidend ist: Geselligkeit. Introvertierten Menschen scheinen Fehler viel mehr auszumachen als extrovertierten. Final kann dieses Ergebnis nur von Psychologen geklärt werden. Bis dahin: Aliis laetus, sapiens sibi!
Christine Wolter | staatl. geprüfte Übersetzerin und Dolmetscherin | Korrektorat & Texte