Günter Grass

Günter Grass

19. Mai 2015 Allgemein 0

„Mir träumte, ich müsste Abschied nehmen“

Nun ist es gut einen Monat her. Günter Grass ist im Alter von 87 Jahren gestorben. Er war Schriftsteller, Bildhauer, Maler und Grafiker. Als politischer Intellektueller hat er gezeigt, dass man nicht unbedingt Helmut Schmidt heißen muss, um als „alter weiser Mann“ zu brisanten Themen öffentlich Stellung zu nehmen. Der Verlust seiner Heimat Danzig und die Auseinandersetzung mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit gehörten immer wieder zu den zentralen Punkten seiner in zahlreiche Sprachen übersetzten Werke. Günter Grass – Literaturnobelpreisträger, politisch Engagierter, Künstler, Weltreisender, Querulant.

Seine Biographie gehört sicherlich zu den lesenswerten im Bücherregal. Und so sagte auch John Irving in seiner Ansprache bei Grass‘ Gedenkfeier im Lübecker Theater: „Es gibt keine Schriftsteller mehr – keine wie ihn.“ Das fürchte ich auch. Grass hat immer verlangt, man müsse zornig bleiben. Wer traut sich das heute noch? Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die als Christdemokratin unter den Trauergästen fast schon exotisch wirkte, beschrieb Grass als unerschütterlichen Mahner, der sich nicht zu schade gewesen sei, sich immer wieder mit der „stinkenden Realität“ auseinanderzusetzen. Und er eckte damit an. Ständig und überall. Manchmal war auch nicht ganz klar, wo und für was er gerade stand. Als er 2006 mit der Veröffentlichung seines Romans „Beim Häuten der Zwiebel“ selbst dafür sorgte, dass seine Zeit in der Waffen-SS publik wurde, erreichte den Zornigen der Zorn der Massen. Auch sein unter dem Titel „Was gesagt werden muss“ veröffentlichtes israelkritisches Gedicht sorgte für heftige Diskussion. Günter Grass führte bis zu seinem Tod ein politisches Leben. Wer rückt nach? Welcher Schriftsteller wird in rund 60 Jahren der Grund für inhaltsreiche Reden bei der eigenen Gedenkfeier sein? Kurz und gut: Ich weiß es nicht. Die Tatsache, dass die Geschichte von Günter Grass die Geschichte Deutschlands ist – und umgekehrt – und diese Geschichte wiederum Bestandteil seiner literarischen Werke, macht Günter Grass zu einen der ganz großen deutschen Literaten, der uns in unserer digitalen Mainstreamwelt sicherlich fehlen wird.

Christine Wolter | staatl. geprüfte Übersetzerin und Dolmetscherin | Korrektorat & Texte