Die Geschichte vom Binnen-I

Die Geschichte vom Binnen-I

2. September 2014 Allgemein 0

Ein kollektives „Nein“ zum Gleichberechtigungsgefummel

In den letzten Tagen führten mich Recherchearbeiten für eine Übersetzung durch erstaunlich klare Statements zum Thema gendergerechte Sprache. Und abgesehen von den Artikeln, die von Lehr- und Frauenbeauftragten verschiedener Universitäten verfasst wurden (hier ging es u.a. um die Forderung einer Frauisierung der Sprache, die sämtliche Wortendungen auf „-er“ durch die „a“-Form ersetzen soll), sorgten diese Statements beim Lesen für angenehm fröhlich-lockere Entspannung – insbesondere in sprachlicher Hinsicht. Auslöser der meisten Artikel war eine von Elke Ferner (SPD, Bundesfamilienministerium) vollzogene Handlung: Sie gab ihren Staatssekretärs-Dienstausweis zurück, weil das „-in“ im Titel fehlte.

Und sicher – man darf nicht vergessen, welche Stationen dem sprachlichen Gender-Catwalk vorausgingen: Bis 1977 benötigte eine Frau die Erlaubnis ihres Ehemannes, um ein Arbeit aufzunehmen. Erst wenige Jahre zuvor war einer verheirateten Frau überhaupt die volle Geschäftstätigkeit zuerkannt worden. Und auch das Recht, nach der Heirat den eigenen Nachnamen zu behalten, ist auf die gleiche, gesellschaftspolitisch hochbrisante und so notwendige Zeit zurückzuführen. Vergleichend betrachtet, wirkt in dieser Ereigniskette das Binnen-I so überflüssig wie eine dritte Wetter-App im Smartphone. Und seien wir doch mal ehrlich: Wenn frau etwas fordert, was einen gut geschrieben Text mehr oder weniger verhunzt und das Lesen desselben quasi unmöglich macht, dann darf man – äh frau, also wir? – sich doch fragen, ob ganz eventuell die eine oder andere von uns mental noch nicht so richtig richtig aus ihrer weiblichen Opferrolle herausgefunden hat.

Heute ist eine Frau Bundeskanzler, eine andere Frau besitzt die Oberbefehlsgewalt über die Bundeswehr und eine weitere (oder auch die bereits genannten) hinterzieht genauso wie Männer Steuern. Frauenquote, Vätermonate … Da finde ich es schon okay, wenn ich mich bei einer Rede des Bundespräsidenten, die aus Versehen mit „Liebe Bürger“ beginnt, einfach rundherum angesprochen fühle.

Christine Wolter
staatl. gepr. Übersetzerin
Korrektorat & Texte