Geophonie

Geophonie

1. Juni 2016 Allgemein 0

Das große Orchester der Wildnis als Ursprung der Musik

Der amerikanische Musiker und Naturforscher Bernie Krause hat als Klangforscher weltweit die noch intakten akustischen Lebensräume von Tieren belauscht. Mit seinem Buch „Das große Orchester der Tiere“ zeigt er uns einen ganz neuen Zugang zum Ursprung der Musik. 1938 in Detroit geboren, ist Krause der Begründer des „Wild Sanctuary“ und hat vierzig Jahre seines Lebens die Welt bereist, um den Reichtum der Arten, einzigartige Klanglandschaften und auch deren fortschreitende Zerstörung zu dokumentieren: Die Laute von Pistolenkrebsen und Insektenlarven, die charakteristischen Gesänge der Buckelwale; knackende Gletscher, gurgelnde Flüsse und das Grollen heftiger Gewitter; die Melodien der Vogelchöre, das orgelartige Dröhnen vom Wind, das in der Nacht aufgezeichnete Brüllen eines Jaguars – die Klänge, denen Bernie Krause begegnet ist, sind von einzigartiger Schönheit. Sie erzählen in faszinierender Weise von den natürlichen Melodien und Rhythmen unseres Planeten, der die Menschen die Musik lehrte.
Krause zeigt, dass jeder Ort der Welt über eine „akustische Signatur“ verfügt:„Die Wüste dämpft Schall, der resonanzreiche Urwald weitet ihn; der Konzertsaal Alaskas hat mit demjenigen auf Borneo wenig gemeinsam; Strände prasseln heftig oder blubbern gemütlich; bei Regen hallt das Brüllen des Löwen anders als bei Staubtrockenheit, der Winter ist kahlstimmiger als der Sommer.“
Auch schaut der Naturforscher schaut auf eine eigene, sehr bunte und von unterschiedlichsten Musikstilen geprägte Musiker-Karriere zurück. Und irgendwann hörte er den langsamen Satz aus Ludwig van Beethovens 6. Sinfonie, F-Dur, „Pastorale“, und fragte sich, was die Matrix für diese Organisation imitierter Naturklänge war: „In ihr lassen die Streicher den Bach murmeln, ruft die Nachtigall in der Flöte, die Wachtel in der Oboe, der Kuckuck in den Klarinetten.“ Krauses beeindruckender Befund: Beethovens System war fast 1:1 jener originalen Natur abgelauscht, wie er sie von Tausenden Spektrogrammen aus Wäldern und Dschungeln kannte, wo hoch- und niederfrequente Tierchen, Winde und Flüsse einander im Austausch nicht behindern.
Vor ein paar Tagen hat mir eine Freundin per WhatsApp den Vogelgesang auf ihrem Balkon geschickt. Ein kleines Privat-Konzert, wie sie schrieb. Und vielleicht ein bisschen akustische Hygiene für unsere vom unerträglichen Lärm bedrohten Welt.

Christine Wolter | staatl. geprüfte Übersetzerin und Dolmetscherin | Korrektorat & Texte