Deutsch light

Deutsch light

29. September 2014 Allgemein 0

Übersetzungen Deutsch-Deutsch

Seit ungefähr zwei Jahren gibt es für Übersetzer eine weitere Möglichkeit der beruflichen Spezialisierung: Das Übersetzen deutscher Texte in die leichte Sprache.

Leichte Sprache ist ein schriftliches Kommunikationssystem mit eigenen Regeln, eigenen Übersetzern, eigenem Schrifttum. Eine eigene linguistische Welt, die sich gerade rasant etabliert. Erste Übersetzungsagenturen setzen auf leichte Sprache als Alleinstellungsmerkmal, Internetauftritte von Politikern werden in leichter Sprache verfasst – um anschließend öffentlich diskutiert zu werden -, einige Teile der Bibel wurden bereits in die leichte Sprache übersetzt, Köln stellt seine Stadt und seine behördlichen Servicebereiche auch in leichter Sprache vor. So ist unter dem Stichwort „Hundeanmeldung“ zu lesen: Wenn Sie einen Hund haben: Dann müssen Sie Hunde-Steuer bezahlen. Es ist Ihre Pflicht: Ihren Hund anzumelden. Wenn Ihre Hündin schwanger ist und Babys bekommt: Dann dürfen die jungen Hunde 6 Monate alt werden. Nach den 6 Monaten müssen Sie die Hunde innerhalb von 4 Wochen anmelden. Die Spezialsprache – eigentlich gedacht für Menschen mit geistiger Behinderung, funktionale Analphabeten oder Ausländer – schafft häufig Grundlage für heftige Kontroversen. Die Vorteile der leichten Sprache liegen auf der Hand: Wenn ein geistig behinderter Mensch einen Betreuungsvertrag oder eine Gebrauchsanweisung selbständig lesen kann, verschafft ihm das weitere Schritte in die Unabhängigkeit. Doch das Angebot der leichten Sprache birgt auch immer die Gefahr möglicher Diskriminierung oder Ausgrenzung in sich. Ohne sensibler Vorgehensweise und umfassender Information wird dieses Kapitel, ähnlich wie die Rechtschreibreform, zu einer weiteren unendlichen Geschichte der deutschen Sprache. Schon jetzt fühlen sich Leser „für dumm verkauft“, empfinden Texte in leichter Sprache als „manipulativ“ und „reduziert“. Das Fehlen beruhigender Relativierungen macht offenbar Angst. Auf der anderen Seite stellt sich schon jetzt ein typischer Leichte-Sprache-Effekt ein: Auch wer bislang keine Leseschwierigkeiten hatte, denkt plötzlich: Warum nicht gleich so?

Wir werden sehen. Mir persönlich gefällt die Fußballfibel in leichter Sprache, besonders die Erklärung der Abseitsregel. Das soll uns aber nicht ängstigen. Unsere Sprachbewahrer beziehen bereits die linguistischen Wachposten.

Christine Wolter | staatl. gepr. Übersetzerin | Korrektorat & Texte