Sprachliche Höflichkeit
… oder auch: Die Backformen-Sprache
Nun ist das ja so eine Sache mit der sprachlichen Höflichkeit. Angefangen bei dem Wunsch, unsere Kinder mögen „Danke“ und „Bitte“ sagen, sich ordentlich verabschieden und Ankommende formvollendet begrüßen, achten und reagieren wir zum Teil unbewusst sensibel auf freundliches Kommunizieren und sprachlich modellierte Höflichkeitsfloskeln. Ich zum Beispiel habe zur Zeit gerade eine High-End-Pechsträhne in Sachen „technische Geräte“ und muss ständig irgendwelche Hotlines anrufen, die mir bei Telefon-, Internet- und Handy-Problemen weiterhelfen sollen. Die Telefonate, die ich zur Zeit zwischen gefühlten 5 und 8 Stunden am Tag führe, helfen mir technisch gesehen nicht weiter, geben mir aber einen grandiosen Einblick in die von mir liebevoll genannte Backformen-Sprache der Mitarbeiter in den unterschiedlichen Call-Centern. Die Begrüßungsansprachen gleichen sich fast zu hundert Prozent, wirken fröhlich-aufgeschlossen und lassen bei mir gleich das Gefühl aufkommen, am anderen Ende vom Telefon säße jemand, der mein zusammengebrochenes W-LAN in Null-Komma-Nichts wieder zusammenbasteln kann. Dieser Eindruck schwindet im Laufe des Telefonates, denn irgendwann kommt die arme Dame im Call-Center mit ihren auswendig gelernten Absätzen nicht mehr weiter und sagt nur noch „Ich kann Sie ja gut verstehen, aber wir können da gerade nichts machen.“ Je nach Uhrzeit wird man als Kunde auch schon mal angepöbelt; vielleicht verständlich, wenn man überlegt, was für sprachliche Höflichkeits-Kunststücke der Call-Center-Mitarbeiter schon seit Stunden vollführen muss.
Szenen-Wechsel: Hotel-Lobby. Rezeption. Das Bett im Zimmer wird mir sieben schlaflose Nächte bereiten, wodurch die sieben hart erkämpften Urlaubstage keine Urlaubstage mehr sein werden. Das Hotel gehört einer Kette an, die ihren Mitarbeitern eine ganz eigene sprachliche Höflichkeit gelehrt hat. Angefangen beim ständigen „Du“, was für mich ohnehin immer noch ungewohnt ist (nicht beim geduzt werden, sondern beim Duzen!), sind alle mit unglaublich fröhlichen, freundlichen, gute Laune machenden sprachlichen Mustern ausgestattet. Diese Menschen können gar nicht verärgert wirken! Selbst, wenn sie wollten! Die finden die Sprache für Ärger nicht! Also habe ich mir gedacht, ich schlüpfe mal schnell in diese Hotel-Sprache und benutze nicht die für die Beschreibung der letzten Nacht angebrachten Attribute, sondern seidenweiche Mitarbeiter-Attribute. Ich habe unter großer Anstrengung das Muster der Sonnenschein-Sprache übernommen. Und wisst ihr was? Nun sitze ich hier, schreibe diesen Blog und warte darauf, dass ich in ein deutlich schöneres Zimmer umziehen darf mit einem richtig guten Bett. So long und carpe diem!
Christine Wolter | staatl. geprüfte Übersetzerin und Dolmetscherin | Korrektorat & Texte